Nutze Achtsamkeit als Prävention für Angst und Anspannung
Achtsamkeit ist ein Lebensstil. Doch häufig wird sie als überflüssiges und schwammiges Esoterik-Gedöns abgetan, für das es super viel Zeit braucht, die die meisten Menschen vermeintlich nicht haben. Mit der Achtsamkeitstrainerin Anna Helbig gehe ich diesem und weiteren Mythen auf den Grund. Denn Achtsamkeit ist nicht mit Bewusstsein zu verwechseln. Ein achtsames Leben befreit uns von ständiger Bewertung und bringt uns in die Wahrnehmung, Akzeptanz und damit auch ins Loslassen. Also zu all den Kompetenzen, die wir im heute zunehmend verlieren und stärker brauchen als je zuvor.
Achtsamkeit als Gegengift zum allgegenwärtigen Stress
Mittlerweile rät mir sogar meine AOK-Zeitschrift, ich solle doch achtsamer durchs Leben gehen. Und damit hat sie vollkommen recht. Aber was genau heißt es denn eigentlich, achtsam zu sein? Wie ist das Ganze im Alltag integrierbar und warum ist sie besonders bei Panikattacken so heilsam? Diesen Fragen gehe ich bei einem gemütlichen Tee mit Anna Helbig, Achtsamkeitstrainerin und Ernährungswissenschaftlerin auf den Grund.
Raus aus dem Autopilot
Für Anna heißt Achtsamkeit im gegenwärtigen Moment zu sein. Sie bildet damit auch das Gegengewicht zum Autopilot-Modus, in dem wir den größten Teil unseres Alltags unterwegs sind. Es geht darum im Hier und Jetzt zu sein. Genau dort zu sein, wo du eben gerade bist. Unabhängig davon vor wie vielen Deadlines du stehst, welche Einkäufe du noch erledigen oder wann du deine Kinder abholen musst.
Dein Atem holt dich in die Gegenwart
Aber wie hole ich mich ins hier und jetzt, wenn da doch so viel in meinem Kopf rumschwirrt? Anna macht deutlich, dass diese Frage nicht allgemeingültig beantwortet werden kann. Stattdessen darfst du dir deinen individuellen Tool-Koffer basteln. Einer unserer beider Lieblingstools ist der Atem. Du sitzt abgehetzt in der Straßenbahn? Stehst an einer roten Ampel? Hast Stress mit deinen Liebsten? Atme tief durch und konzentriere dich auf drei Atemzüge.
Nutze die tiefe Bauchatmung
Und dann heißt es reinspüren und nachspüren. Fühl mal so richtig, wie der Atem einfließt und deinen Körper durchströmt. Wo beginnt er? Wo endet er? Fokussiere dich nur darauf und erlebe wie du dich super präsent wahrnimmst. Unabhängig von dem Gewusel im außen, gelingt es dir damit dich ins jetzt zu holen und dich wieder zu zentrieren. Klar, manchmal bemerke ich erst viel zu spät, dass ich bis dato kaum mal tief in den Bauch geatmet habe. Na und, dann hol ich es einfach direkt nach.
Achtsamkeit ist kein Privileg
Achtsamkeit wird in kritischen Augen als ein Privileg wahrgenommen. Als etwas, was viel Zeit braucht. Das ist Bullshit. Und das meine ich genau so. Drei tiefe Atemzüge pro Stunde hat wohl jeder übrig. Achtsamkeit soll dich nichts kosten, sie soll dir helfen. Sie bringt dein Nervensystem von der Anspannung in die Entspannung und ist damit ein geniales Werkzeug zur Stressbewältigung. Und Realtalk? Atmen müssen wir sowieso.
Achtsamkeit ist keine Ursachenforschung
Mithilfe von Achtsamkeit steigen wir aus dem Autopiloten aus. Dann nehmen wir bewusst wahr, was automatisch dazu führt, dass wir uns entstressen. Was nicht bedeutet, dass wir zwangsläufig an die Ursache kommen, die uns so stresst. Aber als eine Art “Blitzmethode” legt sie ein Pflaster auf die Wunde, um für Entlastung zu sorgen. Gleichzeitig kenne ich so viele Menschen, ob Freunde, Familie oder Klienten, die durchaus ihre eigenen Stressoren kennen, aber keine Veränderung daraus ableiten und im Hamsterrad weiter hustlen.
Löse dich von Bewertungen
Der Clou dabei? Es gibt einen gigantischen Unterschied zwischen Bewusstsein und Achtsamkeit. Nimmst du wahr, dass dir etwas nicht guttut oder bist du in der Lage etwas da sein zu lassen, ohne es zu werten? Im Zen-Buddhismus beschreibt Achtsamkeit die Wahrnehmung dessen, was ist, ohne es zu bewerten. Die vermutlich größte Challenge unseres gesamten Lebens und gleichzeitig die größte Chance für Gelassenheit und Selbstliebe.
Betrachte die Dinge mit kindlicher Neugier
Rein mit dir in die Vogelperspektive. Dann gelingt es dir vielleicht diesen Rattenschwanz an Bewertung, Glaubenssätzen und beleidigendem Selbsttalk zu kappen. Denn erst die Bewertung dessen, dass ich noch so viel zu tun habe und das schlecht ist, reaktiviert Glaubenssätze, die mir nicht dienen. Dann beweise ich mir vielleicht erneut, dass ich nichts gebacken bekomme und befördere mich in Schuldgefühle, Angst und Selbsthass. Anstatt meine To-do-Liste einfach nur als To-do-Liste wahrzunehmen.
Schweigen für mehr Verbundenheit
Gerade für die Perfektionisten unter uns, die auf Kontrolle, Sicherheit und Planung stehen, ist diese Nicht-Bewertung eine gigantische Herausforderung. Auch Anna kann sich hier gut reinfühlen. Auf einem siebentägigen Schweige-Retreat in einem ehemaligen Kloster stieß sie immer wieder an ihre Grenzen. “Was verdammt nochmal mache ich hier, ich könnte gerade was viel Produktiveres tun?”, holte sie auf ihrem Sitzkissen immer wieder ein. Aber schlussendlich ist das Produktivste, was wir tun können, im Hier und Jetzt zu sein.
Kreiere Raum für Bewusstwerdung und Verarbeitung
Schweigen ist by the way eine der besten Methoden auch alle anderen Sinne wieder ins Bewusstsein zu holen. Zudem Mimik und Gestik viel krasser ins Gewicht fallen, wenn die Sprache wegfällt. Bewusstes Schweigen bietet enorm viel Raum für Verarbeitung und Verbindung mit dir selbst. Sich auf sich selbst zu besinnen ist eine Entscheidung. Das passiert nicht einfach so. Schon gar nicht in einer Welt voller Ablenkungen.
Persönlichkeitsentwicklung braucht Mut und Kraft
Zumal der achtsame Umgang mit dir selbst auch richtig wehtun kann. Was vielleicht auch der heftigste Grund ist, weshalb so viele Menschen so krass im außen und so wenig mit sich selbst verbunden sind. Umso stärker du diesen Umgang trainierst, desto weniger schmerzhaft wird es bzw. desto besser gelingt dir das Handling. Aber das, was du da wahr-nimmst ist nun mal die Wahr-heit. Und für diese Konfrontation braucht es Kraft.
Stabilisiere dich vor einem Deep-Dive
Wann immer ich meine Meditationspraxis vernachlässige, bekomme ich nach kurzer Zeit eine verbale Klatsche zu spüren. Das tut weh, aber ich bin froh, dass ich diese Selbstregulation mittlerweile gut drauf habe und dann wieder in den innerlichen Check-in gehe. Achtsamkeit braucht Mut. Denn wir wissen bewusst oder unterbewusst genau, dass es an der ein oder anderen Stelle klemmt. Wir dürfen also mutig sein und trotzdem darauf achten, dass da auch genügend Kraft vorhanden ist, um die Dinge zu verarbeiten.
Setze deine Ressourcen sinnvoll ein
Sind wir bspw. krank, braucht unser Körper extrem viel Energie, um diese Infektion zu heilen. Da ist nicht viel mit Weiterentwicklung los. Achtsam solltest du dennoch sein. Gerade wenn wir krank sind, dürfen wir ganz stark ins Spüren kommen und nicht in Buffering (Kompensation) verfallen. Einfach mal liegen, Energie sparen und reinfühlen. Geht es dir schlecht, darfst du dich zuerst stabilisieren und anschließend reflektieren, was die Wurzel dieses Downs beschreibt. Dafür braucht es aber genug Power.
Achtsamkeit hat kein Ziel
Genau hier ist es so wichtig, dich nicht zusätzlich zu stressen, weil du vielleicht gerade nicht mit gewissen Themen vorankommst. Nimm den Druck raus und vertrau dir selbst, dass der richtige Zeitpunkt kommt. Achtsamkeit hat kein Ziel, es geht ums Sein. Auch wenn unsere Gesellschaft nicht darauf ausgelegt ist zu Sein, sondern zu Leisten. Und vielleicht gilt dasselbe für deine Glaubenssätze.
Gönn’ dir deine Pausen
In ihrem Alltag schwört Anna auf achtsame Pausen. Ihr perfekter Tagesablauf würde damit beginnen, dass sie sich zuallererst am Morgen auf sich besinnt und sich nicht direkt von den anstehenden Aufgaben treiben lässt. Vielleicht beginnt sie mit Yoga, genießt ihr heißes Wasser, liest ein bisschen in ihrem Buch oder schreibt ihre Gedanken nieder. Journaling über das, was gerade da ist.
Selbstfürsorge soll nicht im Perfektionismus enden
Pausen dürfen auch im Büroalltag Platz finden. Vielleicht gepaart mit einem Spaziergang oder einer kurzen Fitness-Session. Anna schmunzelt und räumt ein, dass auch ihr das mal besser, mal schlechter gelingt. Und das, obwohl sie über all das Wissen verfügt. Achtsamkeit konzentriert sich nicht auf das, was wir machen, sondern wie wir es machen. Diese Integration fällt uns vor allem am Anfang leichter, wenn wir uns ganz bewusst Pausen dafür nehmen.
Achtsamkeit geht auch mit Kindern
Wie sieht denn nun aber dieser wunderschöne achtsame Alltag mit Kindern aus? Sind diese Breaks und Tools dann überhaupt anwendbar? Viele Eltern betrachten das nämlich als schier unmöglich. Und da wir beide bisher keine Kinder haben, erleben wir hier natürlich auch Ablehnung, weil noch keine Erfahrungswerte da sind. Was aber nicht heißt, dass das die Legitimierung dafür ist, es nicht wenigstens mal zu versuchen.
Nutze deine Vorbildfunktion
Nimm deine Kids doch einfach mal mit auf eine kleine Achtsamkeitsreise. Leb ihnen Achtsamkeit vor. Vielleicht gibt es einen Raum, indem nicht gestört wird, der nur dafür da ist im Moment mit sich selbst zu sein. Natürlich ist es wichtig, dann auch wieder aus diesem Raum rauszukommen und Präsenz zu zeigen. Oder nimm dein Kind mal mit hinein. Setzt euch gemeinsam auf die Kissen und schaut mal, wie lange ihr beide durchhaltet.
Smartphone als Achtsamkeitskiller
Gemeinsam mit Kindern und Jugendlichen startet Anna an Schulen immer mal wieder kleine Achtsamkeits- und Meditationschallenges. Klar sind alle erstmal geschockt, wenn es heißt, das Smartphone bleibt mal für 20 Minuten draußen. Manche verlassen recht zügig, aber leise den Raum, andere ziehen durch und genießen sind im Nachgang überrascht von sich selbst und super stolz.
Meditation für die ganze Familie
Manche Familien meditieren gemeinsam und lassen ihre Kinder nebenbei leise spielen, bis sie irgendwann selbst mitmachen wollen. Und ich bin so begeistert davon, welche Strategien Eltern damit ihren Kindern an die Hand geben. Strategien, die im Laufe des Lebens immer wichtiger werden, um mit großen Herausforderungen umgehen zu können. Sich auf sich selbst zu konzentrieren und zu erspüren, was es gerade braucht. Und nicht mit Verdrängung und Kompensation reagieren zu müssen. „Liebe Eltern, bitte gebt nicht auf“, startet Anna ihren Aufruf und motiviert alle Mütter und Väter sich ein paar Versuche Zeit zu geben, um da wirklich mal achtsam reinzutesten. Verpack es als kleine Challenge.
Unangenehme Gefühle unterliegen deiner Bewertung
Achtsamkeit konfrontiert uns auch mit unangenehmen Gedanken und Gefühlen. Vielleicht fehlt es an Abenteuer in der partnerschaftlichen Beziehung, das Verhältnis zum Chef ist mies oder in der Familie gibt es schon wieder Spannungen. Wie schaffe ich es, diese Umstände nicht direkt wieder kompensieren zu wollen, sondern sie auszuhalten, während ich sie wahrnehme und fühle?
Schreib dich frei
Anna stellt klar, dass hier jeder Mensch seinen individuellen Weg im Umgang damit finden muss. Sie selbst schwört auf Zettel und Papier. Oder das Notebook. Durch das Aufschreiben erlangen wir on top mehr Klarheit für all das, was es gerade braucht. Oder eben nicht braucht. Trotzdem stellt Anna hier eine Trennschärfe klar. Denn Achtsamkeit versucht nicht zu werten und in gut und böse zu unterteilen.
Prävention für Panikattacken
Auch im Umgang mit Angststörungen, insbesondere bei Panikattacken ist die achtsame Wahrnehmung häufig schon der erste Schritt zur Prävention und Entschärfung. Im Hier und Jetzt gibt es keine Angst. Sie findet meist in der Zukunft statt. Oder auf Basis der Vergangenheit. Kinder laufen los, ohne dass sie wissen, was passieren wird. Sie tun es einfach und werden dann von einem Elternteil gestoppt, damit sie sich nicht verletzen.
In der Gegenwart gibt es keine Angst
Panikattacken werden stark entkräftet, wenn du die Bewertung dieser Situation oder deiner Angst rausnimmst. Dann müssen sie mitunter auch gar nicht erst in einer Panikattacke münden. Achtsamkeit bietet auch hier wieder wahnsinnig viel Raum für Prävention. Und einen Schritt weiter gedacht darfst du dann natürlich auch nach deinen Bedürfnissen gehen und das tun, was dir gerade guttut und sein lassen, was dir nicht dient. Du bist hyper-gestresst, weil du noch mega viele To-dos vor dir hast? Nimm dich wahr.
Wahrnehmung statt Kompensation
Vielleicht rast dein Herz, dein Hals schnürt sich zu oder dein Magen dreht sich um. Was braucht es, um dich zu entstressen? Vermeide die Kompensation, indem du erstmal eine rauchst o.ä., sondern nimm dir, was dir auf gesunde Weise hilft. Und wenn die anstehenden Termine einfach nicht schaffbar sind, dann ist das so. Dann priorisiere und verschiebe sie. Als Leistungssportlerin kennt Anna die Vielzahl von Terminen. Damals bewertete sie das aber nullkommanull als negativ. Sodass sie ihre Aufgaben einfach gechillt abarbeitete.
Hinterfrage deine Glaubenssätze
Unterscheide zwischen Selbstfürsorge und Angst. Vielleicht hast du dich irgendwann selbst überfordert und schlechte Erfahrungen gemacht. Deshalb musst du nicht auf künstliche Weise einen Stopper reinhauen, damit du ja nicht wieder in diese Lage kommst. Denn diese Annahme über dich selbst passt nicht ins Hier und Jetzt. Sie ist das Ergebnis aus einer einstigen schlechten Erfahrung. Hier dürfen wir uns alle Stück für Stück besser kennenlernen. Umso schneller wissen wir, was wir gerade brauchen. Hier dürfen wir unsere Glaubenssätze immer mal wieder hinterfragen.
Schärfe all deine Sinne
Zum krönenden Abschluss führt Anna ein kleines Achtsamkeitsexperiment mit mir durch, bei dem ich wunderbar leckere Schokolade mit all meinen Sinnen wahrnehmen darf. Von der Hand, auf die Zunge, in die Wangentaschen und allmählich schmilzt sie dahin und ich bleibe zurück, mit der wahrscheinlich aufregendsten Schokoladen-Erfahrung der letzten Jahre. Versuche, die Dinge mit all deinen Sinnen wahrzunehmen. Nimm die Wunder im außen und natürlich auch wieder im Innen wahr. Dafür braucht es auch keine zusätzliche Zeit.
Achtsame Unterstützung
Du möchtest mehr Impulse oder eine achtsame Unterstützung von Anna? Dann schreib ihr eine Mail an kontakt@annahelbig.de. Da sie in all diesen Bereichen auch meine persönliche Unterstützung ist, kann ich sie dir mit bestem Gewissen und von Herzen empfehlen. Hab eine wunderbar achtsame Zeit.
Love,
Nastasja
Download “Schokoladenmeditation”
Damit du Achtsamkeit mit all deinen Sinnen wahrnehmen kannst, haben Anna und ich noch ein kleines (kostenfreies) Geschenk für dich. Schnapp dir ein Stück Schokolade und lausche Anna’s Worten. Außenwelt auf Standby und los geht’s.
Schokoladenmeditation
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